Shochu Geiko 2015
Und wieder ein Jahr rum. Das letzte Sommercamp 2014 liegt mir noch in den Ohren – “atemlos”. Vielleicht war das eine Prophezeiung – jedenfalls kam mir das Sommercamp 2015 sehr atemlos vor. Es verging gefühlt schneller als jedes andere, wir haben weniger Themen angefasst als sonst und es war auch deutlich weniger physisch herausfordernd. Vielleicht werden wir alt, der Verdacht liegt nahe. Inzwischen schmeckt einem (mir) ja auch Weißwein … Vielleicht gab es aber auch zu viele Nebenschauplätze. Das ginge dann auf mein Konto …
Nun ja, Sommercamp – 暑中稽古, shochu geiko, um bis auf Dehnungszeichen präzise zu sein – warum um alles in der Welt, machen wir das eigentlich jedes Jahr wieder? Ja klar, wir sind alle ein wenig masochistisch, aber reicht das? Warum waren wir dieses Jahr eigentlich weniger? Hat der Masochismus in einigen von uns abgenommen oder ist es ganz einfach so, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr für alle ein Ergebnis mit positivem Vorzeichen ergibt!?!
Ist es nicht merkwürdig, dass auch nach all den Jahren noch Leute auf der Strecke bleiben? Die Übung (vorübergehend) nicht fortsetzen können/wollen, sich oder uns irgendwo verloren haben? Oder haben wir sie und oder etwas verloren? Verlieren wir nicht alle gelegentlich etwas, jemanden, uns – und, falls ja, ist das (auch) gut so? Wieviel Übung ist gut, muss es das maximal Mögliche sein? Und was soll das eigentlich sein, das (maximal) Mögliche? Was passiert, wenn das Physische/Technische keine steile Lernkurve mehr aufweist sondern sich nur noch infinitesimal einem Grenzwert nähert? Weiterziehen? Dem Grenzwert verpflichtet sein? Cross-Training? Aus Verpflichtung der Gruppe gegenüber bleiben? Was war der bisherige Fortschritt eigentlich – unterschwellige Egobefriedigung, Spaß daran in etwas (vermeintlich) gut zu sein, das berauschende Gefühl erfolgreich an etwas zu arbeiten? Und (wie) wird es weitergehen? Was ist eigentlich mit denen die noch und schon immer dabei sind, denen die irgendwie nicht ablassen können, auch wenn sie das restliche Jahr über selten Üben? Was hält sie? Was bringt sie zurück? Personen, Erinnerungen, die Suche nach etwas, Wünsche, Fragen?
Vielleicht liegt in solchen Fragen ein wesentlicher Grund für das Sommercamp. Bei ca. 7h Übung pro Tag hat man es einigermaßen schwer, solchen Fragen (im Nachgang?) auszuweichen. Mal anders zu üben oder sich und seine Übung anders wahrzunehmen ist nahezu unausweichlich und wohl nur bei völliger Ignoranz möglich. Was macht der Sand mit mir und meiner scheinbar sauberen Technik, mit meiner Motivation und Konzentration. Warum fühlen sich die scheinbar einfachsten aller Grundtechniken im Wasser und zähneklappernd eigentlich so zerbrechlich und unrund an? Warum schaffe ich es trotz der Abgeschiedenheit nicht, den Alltag auszublenden, mit ihm abzuschließen – für eine Woche?
Was mute ich mir zu, was ist zuviel, wo überwinde ich meine Bequemlichkeit, wo bin ich schlichtweg zu stolz, um mir eine Pause zuzugestehen, gehe sinnlose Risiken ein? Und wer entscheidet eigentlich wo zwischen beidem die Grenze verläuft? Führt die Konfrontation mit Aufgaben, die mich überfordern zu einer Ausweichbewegung oder zu einer Auseinandersetzung? Wann schaltet sich mein Sendebewusstsein ein, wann bin und bleibe ich lieber auf Empfang? Warum lobt mich eigentlich keiner, obwohl doch jeder Laie weiß, dass Feedback konstruktiv sein soll und positive Verstärkung wirksam(er) ist? Für wen streng ich mich hier eigentlich an – für den Lehrenden, des Lobes wegen? (Achtung Falle!).
Ja, für das Entstehen solcher Fragen ist so ein Sommercamp wohl da, ganz abgesehen von netten Abenden unter freiem Himmel, Sternschnuppen glotzen, Sonne tanken, mit Leuten schnacken, den Einen oder die Andere auch mal “privat” sehen, feststellen, dass die Übung immer auch den ganzen Menschen betrifft – den einen mehr und wissender, den anderen weniger und nichts ahnend.
Fragen also … Sind Daten das gleiche wie Informationen? Sind viele Informationen Wissen? Ist genug Wissen Verstehen? Ist Verstehen auch Einsicht? Und gibt es etwas besseres als Lehrszenen und Lehrerfahrungen, Übungsstunden und den Austausch mit der Gruppe über gemeinsam und doch ganz anders Erlebtes, um mehr als oberflächlich theoretisierende erste Antworten auf diese Fragen zu finden?
Fragen also … der Anfang, manchmal auch das Ende oder Ergebnis eines Abschnittes, gelegentlich auch langjährige treue Begleiter – nervende, bewegende, (auf)fordernde, (ver)weisende, rationalisierte Hilfskonstruktionen, die vorbei gehen am eigentlichen und doch nicht entbehrlich sind …
Go your own way … Go your own way … Go your own way … Go your own way …
Schreibe einen Kommentar